Angela Bachmair

Zwischen "G'wand" und "Häs" fließt der Lech

Ein Sprachatlas bewahrt die Dialekte von Bayerisch-Schwaben - Exkursion durch ein Museum der Wörter

Wer etwas verloren hat, muss suchen. Genau das haben Professor Werner König und seine Mitarbeiter in den vergangenen Jahren getan, aber was sie wiederentdeckt haben, unterscheidet sich von anderen Fundstücken: es sind ausschließlich Wörter. In zwölfjähriger Forschung sind Sprachwissenschaftler der Augsburger Universität den teilweise aus dem Alltag schon verschwundenen Dialekten in Bayerisch-Schwaben nachgegangen, haben die gesprochene Sprache von Schopflohe oder Dornstadt im Norden und Steingaden oder Kempten im Süden, zwischen Neu-Ulm und Schiltberg in west-östlicher Richtung festgehalten und in einem umfangreichen Kartenwerk örtlich fixiert.

"Häcker" und "Schnackler"

Ihre "Gewährsleute" waren vor allem Senioren, die noch daheim sind in der dialektgebundenen Sprache. 950 Personen in über 270 Dörfern haben Königs Doktoranden Manfred Renn, Edith Funk und Brigitte Schwarz befragt und Aussprache- und Bedeutungsunterschiede akribisch notiert. Jetzt ist der erste Band des Bayerischen Sprachatlasses erschienen (Bearbeitung Christine Feik), der sich mit Körper und Seele, Kleidung und Gemeinschaft befasst; 13 Bände sollen nur für Bayerisch-Schwaben folgen. Auf 620 Seiten (Universitätsverlag C. Winter, 158 Mark) breitet sich eine farbige und äußerst vielschichtige Sprachlandschaft aus, in der die Menschen keinen Kopf, dafür aber einen "Bilmes" oder "Grind" auf den Schultern tragen, wo sie sich mit dem "Kampl" oder dem "Strähl" die Haare kämmen oder sich mit dem "Fazele" (verwandt mit dem italienischen fazzoletto, also Taschentuch) die Nase putzen.

Die große Sprachgrenze in Bayerisch-Schwaben ist der Lech. Westlich des Flusses bekommt man beispielsweise den "Häcker" oder "Hätscher", wenn man einen Schluckauf hat, östlich davon einen "Schnackler". Im Westen ist "dosohret", wenn einer nicht "losen" kann, im Osten kann einer nicht "hören", wenn er "doret" ist. Ein Linkshänder heißt hier "Linkser", dort "Tenker", im Norden Schwabens sogar "Linkertasch".

Östlich des Lechs trägt man ein "G'wand" oder auch "G'schläf", westlich ein "Häs"; und das "Mädle" bindet sich hier ein "Fürtuch", die "Fehl" dort einen "Schurz" um. Der Unterschied zwischen Bayern und Schwaben tut sich nicht zuletzt darin kund, dass das Wort "Fensterln" in Westen der Region gar nicht existiert, dafür sagte man hier früher zu zwei Leuten, die ohne Trauschein zusammenlebten, sie würden "bayrisch hausen". Ein Hang zu Melancholie scheint jedoch in ganz Schwaben zu herrschen, denn fürs Weinen steht ein ganzes Arsenal von Bezeichnungen zur Verfügung: "greinen, plärren, heulen, heinen, flennen, wuiseln, fuden."

So üppig der Sprachatlas mit Ausdrücken bestückt ist, als Schnellkurs für Zugezogene lässt er sich dennoch nicht nutzen. Für Werner König, selbst ein in der Wolle gefärbter Schwabe, eröffnet der erste Band nicht mehr und nicht weniger als ein "Sprachmuseum". Darin wird er in den folgenden Bänden vor allem Begriffe aus Landwirtschaft und Ernährung aufbewahren müssen, die dem technischen Wandel bereits zum Opfer gefallen sind, etwa die über 20 Bezeichnungen für den hölzernen Wagen, die "Troidseges" oder "Goagl" als Synonym für die Getreidesense. Die Vereinheitlichung der Sprache und mit ihr das Aussterben der Dialekte begann freilich schon im 16. Jahrhundert, als die alt- und mittelhochdeutschen Dialektsprecher sich langsam auf eine Art Schriftdeutsch einigten.

Unterschiede bleiben

Das Grundlagenwerk der Sprachgeschichte ist laut König auch eine Quelle kulturhistorischer Erkenntnis. Wenn etwa auf dem Lechfeld die Jauche "Hatlwasser" genannt wurde, bedeutet dies, dass die Menschen dort so arm waren, dass sie nur Ziegen (Hatln) besaßen. Und für die Zukunft des Dialekts sieht der Forscher nicht ganz schwarz. Regionale Sprachtypen werde es sicher weiter geben, aber halt in neuen Formen.

"Augsburger Allgemeine" vom 22.05.1996